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Diskursanalyse

    

Der Begriff „Diskurstheorie“ bzw. „Diskursanalyse“ suggeriert, es gäbe eine elaborierte und kohärente Methode. Das ist nicht der Fall. Es gibt viele verschiedene Autoren und viele verschiedene Ansichten darüber, was Diskursanalyse sein soll bzw. sei. Um die Dinge nicht unnötig kompliziert zu machen, orientiere ich mich im Folgenden streng an der foucaultschen Herangehensweise:

Am anschaulichsten schildert Foucault sein methodisches Vorgehen wohl in seiner Antrittsvorlesung 1970, bekannt unter dem Namen „Die Ordnung des Diskurses“, am systematischsten in „Archäologie des Wissens“. Er geht davon aus, dass es prinzipiell unendlich viele Möglichkeiten gibt, Aussagen zu formulieren. Dadurch stellt sich für ihn das Problem, welche Mechanismen dafür verantwortlich sind, dass genau das gesagt wird, was tatsächlich gesagt wird und nicht etwas ganz anderes. Außerdem interessiert ihn die Form und Funktion der Grenzziehung zwischen dem Gesagten, bzw. dem Sagbaren, sprich dem „Diskurs“ und dem Nichtsagbaren, dem „Draußen“.

(1) Er versucht zunächst, dem Diskurs äußere Prozeduren (Ausschließungssysteme) auszumachen, die für diese Grenzziehung und damit gleichzeitig für die Konstitution der Diskurse verantwortlich sind. Er nennt erstens das Verbot (von bestimmten Dingen zu sprechen), zweitens die Entgegensetzung von Vernunft und Wahnsinn (sagt man bestimmte Dinge, gilt man per definitionem nur auf Grund dieser Äußerungen als wahnsinnig), und drittens die Dichotomie zwischen wahr und falsch. Interessant für uns ist an dieser Stelle, dass Foucault versucht, diese Prozeduren auf bestimmte Institutionen zurückzuführen. Im Fall der wahr/falsch-Dichotomie bzw. des „Willens zum Wissen“ wie er es nennt, spricht er ausdrücklich von Institutionen des Literaturbetriebs: „Dieser Wille zur Wahrheit stützt sich, ebenso wie die übrigen Ausschließungssysteme, auf eine institutionelle Basis: er wird zugleich verstärkt und ständig erneuert von einem ganzen Geflecht von Praktiken wie vor allem natürlich der Pädagogik, dem System der Bücher, der Verlage und der Bibliotheken, den gelehrten Gesellschaften einstmals und den Laboratorien heute.“

(2) Dann nennt er noch weitere, dem Diskurs interne Prozeduren, wie beispielsweise den Kommentar, womit er erstens die Abgrenzung zwischen Primär- und Sekundärtexten und die vorausgesetzte Interpretationsbedürftigkeit der Primärtexte meint. Bestimmte Texte werden häufig nicht direkt sondern mit mehr oder weniger entstellenden Kommentaren verfügbar gemacht.

(3) Den dritten wichtigen Punkt zum Verständnis der Art von Aussagen bildet nach Foucault eine weitere Gruppe von Prozeduren, die dazu dienen, die „sprechenden Subjekte zu verknappen“. D. h. nicht jeder darf alles sagen, nicht jeder darf an bestimmten Orten sprechen und das Gesprochene hat unterschiedliches Gewicht, je nachdem von wem es ausgesprochen wird.

Der Zusammenhang zwischen diesen „Prozeduren“ und den ihnen zu Grunde liegenden Institutionen wird von Foucault in „Die Ordnung des Diskurses“ zwar angesprochen, aber nicht weiter ausgeführt. Auch die verschiedenen Derivate der Diskursanalyse, die sich zum großen Teil auf Foucault berufen, legen sehr viel Wert auf die Ausarbeitung dieser Prozeduren selbst und ihrem Nachweis an Einzelbeispielen. Was für unsere Interessen allerdings viel wichtiger ist, ist der angesprochene Zusammenhang. Glücklicherweise ist Foucault in seinem Spätwerk darauf zurückgekommen, untersucht ihn allerdings nicht anhand des Beispiels des Literaturbetriebs, sondern überwiegend am Beispiel der Sexualität. Dafür aber hat er für diesen Zusammenhang einen Begriff geschaffen und nennt ihn "Dispositiv", ein Konstrukt das den Anspruch erhebt, genau diesen Zusammenhang zwischen Diskursen, Praktiken und Institutionen erklären zu können. Und genau an dieser Stelle setzt Text im Anhang der Mail ein.

Wie Sie selbst nachlesen können, bestimmt Foucault ein Dispositiv in diesem Interview durch folgende Eigenschaften:
- Ein Dispositiv besteht aus Diskursen, Institutionen, architektonischen Einrichtungen, reglementierenden Entscheidungen, Gesetzen, administrativen Maßnahmen, wissenschaftlichen Aussagen.
- Das Dispositiv bildet insofern eine Einheit zwischen diesen verschiedenartigen Elementen, als es deren Bezugspunkt bildet. Das Spezifische eines Dispositivs besteht in der „Natur der Verbindung“, die es zwischen diesen vielen verschiedenen Elementen herstellt.
- Das Dispositiv ist historisch zu verorten und nimmt eine konkrete gesellschaftliche Funktion wahr, eine „dominante strategische Funktion“.

Es ist jetzt an ihnen, zu überlegen, wie man dieses Modell auf den Literaturbetrieb übertragen könnte. Dafür eine kleine Hilfestellung in Form unverbindlicher Fragen:
- Welches sind die am Literaturbetrieb beteiligten Institutionen?
- Welche Gesetze bestimmten die Branche?
- Welche einflussreichen Beteiligten gibt es in der Branche?
- Welche Interessen/-konflikte lassen sich erkennen?
- Können Sie eine Gemeinsamkeit zwischen diesen Antworten erkennen und
wenn ja, welche „strategische Funktion“ scheinen sie Ihrer Ansicht nach
zu erfüllen? usw.




| Literatur

    • Die Texte Foucaults siehe hier.
    • Deleuze, Gilles: Was ist ein Dispositiv?, in: Francois Ewald/Bernhard Waldenfels (Hg.): Spiele der Wahrheit. Michel Foucaults Denken, Frankfurt am Main, Suhrkamp Verlag, 1991, S. 153-162.
    • Derrida, Jacques: +R (zu allem Überfluß des Marktes), in: Jacques Derrida: Die Wahrheit in der Malerei, Wien, Passagen Verlag, 1992, S. 177-218.
    • Derrida, Jacques: Maschinen Papier. Das Schreibmaschinenband und andere Antworten, Wien, Passagen Verlag, 2006.
    • Genette, Gérard: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches, Frankfurt am Main, Suhrkamp Verlag, 2001.
    • Innis, Harold: Kreuzwege der Kommunikation. Ausgewählte Texte, Wien, Springer Verlag, 1997.
    • Landwehr, Achim: Historische Diskursanalyse, Frankfurt am Main/New York, Campus Verlag, 2008.
    • Winkler, Hartmut: Diskursökonomie. Versuch über die innere Ökonomie der Medien, Frankfurt am Main, Suhrkamp Verlag, 2004.

























 

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